Von Sabine Hofmann
Müller-Wohlfahrt, 1942 im ostfriesischen Leerhafe geboren, wurde in Berlin zum Facharzt für Orthopädie und Sportmedizin ausgebildet. Als Mannschaftsarzt betreute er bis 2020 den FC Bayern sowie von 1995 bis 2018 das DFB-Team (o. 2006 mit Michael Ballack). Er behandelte außerdem viele Künstler und Musiker, etwa Eric Clapton, der ihm zum Dank eine Gitarre schenkte. Müller-Wohlfahrt betreibt in der Münchner Innenstadt eine 1600 Quadratmeter große Praxis mit mehreren angestellten Ärzten.
Top-Sportler trainieren vor großen Veranstaltungen sehr hart und ziehen sich dabei oft Muskelverletzungen zu. Wie viele spätere Weltmeister waren zur Behandlung bei Ihnen?
Bei der letzten Leichtathletik-WM in Budapest waren es deutlich mehr als eine Handvoll. Das ist immer So vor Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Kurz vor der Basketball-WM war Dennis Schröder noch zur Behandlung bei mir. Es hat mich unglaublich gefreut, dass er durch seine überragende Leistung Deutschland zur Weltmeisterschaft geführt hat.
Sie gelten weltweit als Koryphäe. Waren Sie schon als Schüler ehrgeizig?
Nein, wirklich nicht. Ich fiel einmal durch und drohte sogar von der Schule zu fliegen, weil ich so viel Blödsinn machte.
Dennoch wurde ein Mediziner aus Ihnen: Ab 1975 betreuten Sie Hertha BSC Berlin als Mannschaftsarzt, ab 1977 dann den FC Bayern. Wie war damals die Stimmung?
Wir waren wie eine große Familie, machten zusammen Ausflüge, feierten Geburtstage und Grillfeste. Unsere Frauen und Kinder waren immer dabei. Jedes Mal, wenn ich zum Training kam, gab es anschließend Kaffee und Kuchen.
Ihre Fähigkeit, Muskelverletzungen mit den Fingern zu ertasten, ist legendär. Wie viele Oberschenkel haben Sie im Laufe der Jahre angefasst?
Weit über 30000. Ich untersuche mit geschlossenen Augen, blende alles um mich herum aus, tauche mit den Fingerkuppen in die Muskulatur ein, finde mich in der Anatomie zurecht und spüre Verletzungen auf. Darauf kann ich mich verlassen und mache mich nicht abhängig von der Kernspinuntersuchung.
Nur vier Tage vor Beginn der Olympischen Spiele 2016 flogen Sie nach Rio, um Usain Bolt zu behandeln. Er holte Gold, widmete Ihnen seine Medaille. Wie kam es dazu?
Usain simste mir, dass er das Training wegen Muskelschmerzen abbrechen musste, und fragte, was er jetzt tun könne. Ich war gerade im Familienurlaub in Frankreich. Mir war klar: Jetzt zählt jede Stunde. Am nächsten Morgen war ich in Rio. Damit niemand davon erfuhr, trafen wir uns in einem Apartment. Mit meinen Fingern ertastete ich einen zum Reißen gespannten Muskelstrang im Oberschenkel, behandelte mit meinen Nadeln punktgenau die ursächliche Nervenwurzelreizung im Lendenwirbelbereich. Usain gewann den 100-Meter-Lauf und schenkte mir einen der bewegendsten Momente in meinem Leben als Sportarzt, indem er mir seine Goldmedaille widmete.
Haben Sie noch Kontakt?
Ja, er besucht uns immer wieder in München und kommt am liebsten zur Oktoberfestzeit. Wir haben einen Riesenspaß, wenn er in Lederhosen auf der Bühne die Kapelle dirigiert und die Mädels meiner Praxis im Dirndl neben ihm tanzen.
2022 veröffentlichten Sie ein Buch über Bewegung. Was bewegt heute Ihr Leben?
Meine Praxis. Ich bin glücklich, wenn ich sie betrete, und ich freue mich über alle Herausforderungen. Früher ging’s es bis elf Uhr nachts. Das macht meine Frau aber nicht mehr mit. Jetzt höre ich spätestens um acht Uhr abends auf. Das Buch war eine Herzensangelegenheit. Ich möchte die Gesellschaft zu mehr Bewegung und damit Gesunderhaltung motivieren. Ich selbst sehe es als meine Pflicht, zweimal in der Woche abends laufen zu gehen.
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